Kapitel 2
Am Nachmittag vor dem Ball bei den Dewlands kam es im Außenministerium zu einer noch nie vorher da gewesenen Zusammenkunft junger Gentlemen, die der Minister, Lord Breksby, persönlich leitete. Breksby wurde langsam alt, aber im gleichen Maße wie die Anzahl seiner Lebensjahre wuchs die behagliche Einstellung zu der Macht, die er innehatte. Und obwohl er seine Gäste in einer etwas gebeugten Haltung empfing und ihm das weiße Haar auf exzentrische Art zur rechten Seite fiel, statt ordentlich zurückgebunden zu bleiben wie es sollte, war nichts Komisches an ihm.
Lord Breksby war nun schon seit sieben Jahren Englands Außenminister. Er betrachtete die zivilisierte Welt als ein Marionettentheater, in dem er so einige Fäden in der Hand hielt (Pitt war unwichtig, wie er seiner Frau schon oft gesagt hatte, denn dieser Mann wusste einfach nicht, was er wollte). Einer von Breksbys größten Vorzügen, die William Pitt und der englische Regierung im Allgemeinen zugute kamen, war sein Talent für kreative Manipulationen.
»Man muss die Waffen nutzen, die man zur Verfügung hat«, sagte er seiner Frau ein wenig wichtigtuerisch beim Nachtisch, der aus einer Götterspeise mit Organgengeschmack bestand.
Lady Breksby seufzte zustimmend und dachte sehnsüchtig an ein kleines Cottage auf dem Land in der Nähe ihrer Schwester, wo sie Rosen züchten konnte.
»England weiß seinen Adel nicht zu nutzen«, sagte er ihr zum wiederholten Male. »Natürlich stimmt es, dass aristokratische Lebemänner zu Ausschweifungen neigen - man muss sich nur die degenerierten Adligen ansehen, die sich um Charles II geschart haben.«
Lady Breksby dachte an die neue Rosensorte, die nach Prinzessin Charlotte benannt war. Konnte man sie dazu bringen, eine Wand hochzuranken? Sie hätte gerne eine Südwand, die mit Kletterrosen bedeckt war.
Lord Breksby jedoch dachte an die zügellosen Lebemänner von damals. Rochester mit all diesen frechen Gedichten über Prostituierte war vermutlich der schlimmste gewesen. Wer wusste schon, was er tatsächlich alles angestellt hatte. Er war in der Tat ein ziemlicher Höllenhund gewesen. Langeweile, das war Rochesters Problem.
»Na ja, das gehört nun alles der Vergangenheit an«, sagte Breksby nachdenklich und schob sich den Rest seiner Götterspeise in den Mund. »Unsere Lebemänner von heute sind nützliche Burschen, wenn man sie richtig anfasst. Sie haben Geld. Sie werden nicht gewählt. Und sie haben Klasse, meine Liebe. Das ist unverzichtbar, wenn man mit Ausländern zu tun hat.« Obwohl sein eigener Titel nur ein Ehrentitel war, hatte er sich als sehr nützlich herausgestellt. Lord Breksby war im Stillen der Meinung, dass die Zeit kommen würde, wenn England sich mehr auf seine Klasse als auf seine Marine würde verlassen müssen.
»Nimm zum Beispiel diesen Selim III.«
Lady Breksby blickte auf und nickte höflich.
»Er regiert zurzeit das Osmanische Reich, meine Liebe.«
Wenn sie es sich recht überlegte war die Prinzessin-Charlotte-Rose wahrscheinlich zu schwer, um eine gute Kletterrose abzugeben. Die besten Kletterrosen besaßen kleinere Blüten ... wie diese zauberhafte rosafarbene Sorte die sich damals in ihrem Heimatdorf um das Gartentor von Mrs Barnett rankte. Aber wie sollte sie nur herausfinden, wie diese Sorte hieß?
»Dieser Mann ist ganz geblendet von Napoleon, obwohl Napoleon erst vor sechs Jahren in Ägypten einmarschiert ist. Hält Napoleon für einen Gott, habe ich mir sagen lassen. Hat ihn als Kaiser anerkannt. Und nun will Selim seinen Sultantitel gegen den des Kaisers eintauschen! Sein Vater wird sich im Grab umdrehen.« Breksby überlegte, ob er noch eine Götterspeise nehmen sollte. Besser nicht. Seine Westen spannten bereits ein wenig.
Dann wandte er sich wieder dem vorherigen Thema zu. »Nun ist es an uns, den alten Selim zu blenden. Denn sonst schließt sich der Trottel noch Napoleon an und erklärt England den Krieg, daran besteht gar kein Zweifel. Und wie werden wir Selim blenden?«
Er blickte Lady Breksby triumphierend an, aber nach dreißig Jahren Ehe erkannte sie eine rhetorische Frage, wenn sie eine vor sich hatte. Also schaute sie einfach an ihrem Gatten vorbei und versuchte, vor ihrem geistigen Auge Mrs Barnetts Rosen heraufzubeschwören. Hatten sie einen Hauch Karmesinrot in der Mitte?
»Wir schicken ein Prachtexemplar unseres Adels hinüber. Genau so machen wir es. Wir blenden ihn mit einem echten englischen Gentleman. Er ist zwar kein Mitglied des Königshauses, kommt dem jedoch recht nah.«
Lady Breksby nickte pflichtschuldig. »Das klingt wunderbar, Liebster«, sagte sie.
Das Resultat dieser Unterhaltung, wenn man so will der Ertrag der nach Orangen schmeckenden Götterspeise, war zweierlei Couleur. Lord Breksby schickte eine Reihe von wunderschön geprägten Einladungen los, die von einem Boten des Königs in London ausgetragen wurden, und Lady Breksby schrieb einen langen Brief an ihre Schwester, die immer noch in dem kleinen Dorf namens Hogglesdon wohnte, in dem sie aufgewachsen waren. Darin bat sie ihre Schwester, am Haus von Mrs Barnett vorbeizuspazieren und sich nach dem Namen der Rose zu erkundigen.
Lord Breksbys Idee führte viel früher zu einem Resultat als die Lady Breksbys. Wie sich herausstellte, war Mrs Barnett leider verstorben, und ihre Tochter vermochte nicht zu sagen, wie die Rosensorte hieß. Aber der Bote des Königs kehrte triumphierend zum Außenministerium zurück, da er alle fünf Gentlemen in ihren Stadthäusern angetroffen hatte und diese in der Lage waren, Lord Breksby zu dem vorgegeben Termin zu treffen.
Alexander Foakes, der Graf von Sheffield und Downes traf als Erster im Ministerium ein. Breksby blickte rasch auf, als der ältere Foakes-Zwilling angemeldet wurde. Dann stand er auf und streckte ihm leutselig die Hand entgegen. Sheffield war ein Prachtexemplar genau nach Breksbys Geschmack und bestätigte nur seine geniale Theorie. Er hatte Sheffield vor ungefähr einem Jahr auf eine sehr erfolgreiche und äußerst delikate Mission nach Italien geschickt.
»Guten Tag, Mylord«, sagte er. »Wie geht es Ihrer bezaubernden Frau und Ihren Töchtern?«
»Meiner Familie geht es sehr gut«, erwiderte Alex und nahm Platz. »Warum haben Sie mich herbestellt, Lord Breksby?«, fragte er und seine schwarzen Augen starrten in die des Außenministers.
Breksby lächelte freundlich. Er war zu alt, um sich von einem ungestümen jungen Mann aus der Ruhe bringen zu lassen. Stattdessen lehnte er sich zurück und legte die Fingerspitzen an die Schläfen. »Ich würde lieber warten, bis meine kleine Runde beinander ist«, sagte er. »Aber ich möchte Ihnen vorab versichern, Mylord, dass ich Sie nicht herbestellt habe, um Sie zu bitten, einen Auftrag für die englische Regierung anzunehmen. Keineswegs. Wir mischen uns nur ungern in das Privatleben eines Mannes ein, der Kinder hat.«
Alex zog sardonisch eine Augenbraue in die Höhe. »Es sei denn, die Regierung entschließt sich, ihre Bürger in die Armee zu zwingen.« Damit spielte er auf die Praxis an, Männer zusammenzutreiben und sie ohne Federlesens in den Krieg zu schicken.
»Ah«, erwiderte Breksby sanft, »aber unsere Adeligen zwingen wir niemals in den Dienst. Wir bauen auf die Güte ihres Herzens und ihren Wunsch, dem eigenen Land zu dienen.«
Alex hätte beinah verächtlich geschnaubt, zügelte sich jedoch. Breksby war ein gerissener, alter Machiavelli, den man besser nicht gegen sich aufbrachte.
»Ihre Anwesenheit hier ist jedoch nicht völlig überflüssig«, fuhr Breksby fort. Ach habe ein Angebot für Ihren Bruder.«
»Er ist möglicherweise interessiert«, sagte Alex, der wusste, dass Patrick sich begierig auf die Chance stürzen würde zu reisen. Er war erst seit ungefähr einem Jahr wieder in England und lang~ weilte sich, zumindest war das Alex' Eindruck, beinah zu Tode. Außerdem wirkte er gereizt wie eine Klapperschlange, seit Sophie York seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte.
»Das dachte ich mir schon, in der Tat«, murmelte Breksby.
»Wohin wollen Sie ihn schicken?«
»Ich hoffte, er würde sich bereit erklären, im kommenden Sommer in das Osmanische Reich zu reisen. Es ist uns zu Ohren gekommen, dass Selim III sich nach Art des Monsieur Napoleon zum Kaiser krönen lassen will und wir würden gerne bei der so genannten Krönung einen englischen Vertreter anwesend wissen. Wenn man bedenkt, wie unangebracht es wäre, einen der königlichen Prinzen zu schicken« - Breksby zog die Augenbrauen in die Höhe und signalisierte damit seine Meinung über die dümmlichen und oft betrunkenen Söhne von König George - »so halte ich Ihren Bruder für einen prächtigen Botschafter Englands.«
Alex nickte. Patrick würde ohne Zweifel mit kostbarer Ladung an Bord seines Schiffes zurückkehren. Dies schien ihm ein annehmbarer Tausch.
»Nun, der Grund, warum ich Sie zu diesem kleinen Treffen gerufen habe«, sagte Breksby, »betrifft die Frage des Adelsstandes.«
»Des Adelsstandes?« Alex blickte ihn verständnislos an.
»Genau, genau. Zugegeben, Ihr Bruder wird England auf ausgezeichnete Art und Weise repräsentieren. Seine finanzielle Lage erlaubt es ihm, sich passend zu kleiden und die englische Regierung wird unserem Botschafter selbstverständlich ein kostbares Geschenk mitgeben. Wir denken da an ein mit Rubinen verziertes Zepter - ähnlich (lern, das von König Edward II benutzt wurde. Ich (lenke, wir müssen diesem Exemplar jedoch mehr Rubine beifügen, da Selim sehr vulgär ist. Außer(lern schätzt er diesen Edelstein ganz besonders. Aber die vorrangigste Frage ist: Was wird Selim von Patrick Foakes halten? Wenn man die heikle Situation zwischen unseren Ländern bedenkt, dann ist das ein wichtiger Punkt.«
»Patrick scheint das Wohlwollen der Anführer Albaniens und Indiens erlangt zu haben«, bemerkte Alex. »Ich glaube sogar, dass Ali ihn angefleht hat, einen Sitz in seinem Kabinett anzunehmen, und Sie wissen ja, dass Albanien von Türken regelrecht überrannt wird. Ich denke nicht, dass Selim ein Problem darstellen wird.«
»Sie haben mich nicht ganz verstanden, Verehrtester. Selim ist fasziniert von Titeln. Kaiser Selim!« Breksby schnaubte.
Alex, der gedankenverloren auf Breksbys Schreibtisch gestarrt hatte, hob den Kopf und blickte dem Außenminister direkt ins Gesicht.
»Sie wollen Patrick einen Titel verleihen.« Das war eine Bemerkung und keine Frage. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Wunderbar.«
»Es wird natürlich Schwierigkeiten geben.« Lord Breksby deutet jedoch durch seine Mimik an, dass dies kein größeres Hindernis für ihn bedeutete. »Ich denke jedoch, dass diese behoben werden können.« Alex lächelte. »Er kann die Hälfte meines Besitzes und die dazugehörige Hälfte meines Titels haben.« Alexander Foakes war der Graf von Sheffield und Downes, was bedeutete, dass er (zumindest dem Namen nach) gleich zweifach über ein Stück englisches Land regierte.
»Aber Verehrtester!« Breksby war über diesen Vorschlag schockiert. »So etwas könnten wir niemals tun. Einen Erbtitel aufteilen: oh nein, niemals, nein. Es wäre jedoch möglich ...« Ein listiger Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Wir könnten den Antrag stellen, Ihren anderen Titel zu übertragen.«
Alex nickte nachdenklich. Er war tatsächlich nicht nur der Graf von Sheffield und Downes sondern auch Viscount Spencer.
»Ich dachte da an den schottischen Titel«, sagte Breksby.
Einen Augenblick lang wusste Alex nicht, wo von der Außenminister sprach. »Mein schottischer Titel?«
»Als Ihre Urgroßmutter Ihren Urgroßvater heiratete, ging der Titel ihres Vaters - Herzog von Gisle - verloren, da sie das einzige Kind war.«
» Oh, aber natürlich.« Alex wusste von seiner schottischen Urgroßmutter, hatte aber nie einen Gedanken an den verloren gegangenen Titel ihres Vaters verschwendet.
Ach würde gerne den Antrag stellen, dass dieser Titel wieder eingesetzt wird«, sagte Breksby lebhaft. »Ich denke, dass dieser Fall große Aussichten auf Erfolg hat, wenn man bedenkt, wie wichtig es ist, Selim III für die englische Sache zu gewinnen. Wenn Selim nicht ausreichend von unserem Botschafter beeindruckt ist, möchte ich vermuten, dass das Türkische Reich es unserem alten Freund Napoelon nachtun wird und England in näherer Zukunft den Krieg erklärt. Ich denke, die Tatsache, dass Sie und Ihr Bruder Zwillinge sind, wird das Parlament ebenfalls günstig stimmen. Patrick Foakes ist schließlich nur auf Grund weniger Sekunden der geringere Bruder.«
Alex nickte. Wenn man bedachte, dass Breksby eine Idee erst dann vorschlug, wenn er von ihrem Erfolg überzeugt war, dann hegte Alex keinen Zweifel, dass Patrick innerhalb weniger Monate zum Herzog von Gisle ernannt werden würde.
Ach bin nicht sicher -«, sagte er, aber in diesem Moment öffnete sich die Tür.
»Mr Patrick Foakes; der Graf von Slaslow; Lord Reginald Petersham; Mr Peter Dewland«, verkündete Lord Breksbys Diener.
Lord Breksby kam sofort zur Sache. »Gentlemen, ich habe Sie heute hergebeten, weil jeder von Ihnen im Besitz eines Klippers ist.«
»Du meine Güte«, sagte Braddon Chatwin, der Graf von Slaslow verwirrt, »ich glaube nicht, Sir. Es sei denn, mein Vermögensverwalter hat hinter meinem Rücken einen erworben.«
Lord Breksby warf ihm einen durchdringenden Blick zu. Offensichtlich waren die Berichte über Slaslows geistige Fähigkeiten nicht übertrieben gewesen. »Sie haben diesen Klipper bei einem Würfelspiel mit einem -«. Er hielt inne und hob die Augengläser, um etwas von einem Blatt Papier auf seinem Schreibtisch abzulesen. »Ach ja, bei einem Würfelspiel mit einem Mr Sheridan Jameson gewonnen. Ich glaube, er ist Kaufmann.«
Oh ja, Sie haben Recht«, erwiderte Braddon, sichtlich erleichtert. »Es war an dem Abend, an dem wir auf dem Weg nach Ascot in einem Gasthof Halt gemacht haben, Petersham. Erinnerst du dich noch?«
Petersham nickte. »Ich erinnere mich, dass du noch lange die Würfel hast rollen lassen, nachdem ich schon längst ins Bett gegangen war«, bestätigte er.
»Und ich habe ein Schiff gewonnen«, sagte Braddon fröhlich. »Jetzt fällt mir alles wieder ein.«
»Will die Regierung unsere Klipper requirieren?«, fragte Patrick Foakes ein wenig scharf. Er besaß drei Klipper und verspürte keinerlei Lust, einen von ihnen aufzugeben.
»Oh nein, aber nein, mitnichten«, protestierte Breksby. »Wie heißt es so schön, das Haus eines Mannes ist seine Festung. Wir haben uns nur gefragt, ob einer von Ihnen bereit wäre, in den nächsten Monaten die Küste hinunterzusegeln und die Küste von Wales zu umrunden. Wir haben die Errichtung von Befestigungsanlagen an der walisischen Küste angeordnet, aber der Westen Englands ist sehr schwer zu bändigen.« Breksby runzelte die Stirn. »Sie wollen dort drüben einfach nicht unseren Anweisungen folgen.«
Alle fünf Männer blickten ihn erwartungsvoll an. »Wir wissen aus gewissen Quellen, dass Napoleon möglicherweise versuchen könnte, England von dieser Seite aus anzugreifen, und von Boulogne lossegelt und an der walisischen Küste landet.«
Braddon legte die Stirn in Falten. »Warum sollte er das? Es wäre doch viel schneller, auf direktem Weg den Kanal zu überqueren. Also, mir ist das in sechs Stunden gelungen.«
Was seine Mutter wohl ertragen haben muss, als er noch ein Kind war! Der Dummkopf weiß wahrscheinlich nicht einmal, dass der Kanal blockiert ist, dachte Breksby. Dann sagte er mit äußerster Höflichkeit: »Ich fürchte, dass Napoleon zurzeit eine Blockade im Kanal errichtet hat, Mylord. Genau aus diesem Grund möchte ich einen der Gentlemen auch bitten, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich könnte natürlich unsere Marine beordern, die walisischen Befestigungsanlagen zu inspizieren, aber wir benötigen im Moment jedes Schiff, um mit Monsieur Napoleons Blockade fertig zu werden. Kurz gesagt, wir wären sehr dankbar, wenn einer von Ihnen die Aufgabe übernehmen könnte.«
»Nun, ich kann das nicht übernehmen, solange die Saison noch andauert«, sagte Braddon prompt. Ach habe mich heute Morgen verlobt, und nun teilt meine Mutter mir mit, dass ich an einer Reihe von Anlässen teilnehmen muss.« Es entstand eine kurze Pause. »Und ich muss mich natürlich noch verheiraten«, fügte Braddon hinzu.
Lord Breksby blickte ihn neugierig an. Er wusste immer gerne genau, welche Bündnisse in den adligen Kreisen geschlossen wurden.
»Darf ich fragen, ob Lady Sophie York Ihren Antrag angenommen hat?«
»Das hat sie.« Braddon strahlte.
Alex begegnete Patricks Blick, als sie beide sich erhoben, um dem zukünftigen Bräutigam zu gratulieren. Nur Alex sah das höhnische Funkeln in den schwarzen Augen seines Zwillingsbruders, das spöttische Zucken seiner Lippen.
Patrick wandte sich abrupt an Lord Breksby. »Ich mache es«, sagte er mit knapper, kühler Stimme.
Lord Breksbys strahlte. Er war ebenfalls aufgestanden und beute sich leicht nach vorne, wobei seine gespreizten Finger auf der Tischplatte ruhten.
»Großartig, ganz ausgezeichnet. Wenn Sie mir in dem Fall ein paar Minuten Ihrer kostbaren Zeit opfern könnten, würde ich Ihnen zeigen, wo sich die Befestigungsanlagen befinden sollten.« Breksbys Stimme troff vor Ironie. Die Waliser waren ein schwieriges und hartnäckiges Volk, das keinerlei Anstalten machte, sich der englischen Herrschaft unterzuordnen. Breksby hatte nur geringe Hoffnung, dass die Befestigungsanlagen existierten.
Patrick nickte. Als sich die anderen hastig und erleichtert verabschiedeten, nahm Patrick wieder Platz. Sein Bruder blieb ebenfalls im Raum.
Als die drei alleine waren, erklärte Breksby knapp die Situation im Osmanischen Reich.
Ach werde den Titel nicht benötigen«, verkündete Patrick und sein Ton duldete keine Widerrede.
Alex grinste in sich hinein. Er hatte Breksby gerade sagen wollen, dass sein Bruder den Titel nicht unbedingt annehmen würde, nur weil sich das Parlament möglicherweise dazu überreden ließ, Patrick die Herzogwürde zu verleihen.
Aber Breksby tat wenig, ohne vorher ausreichende Erkundigungen einzuziehen. Er wusste, dass Patrick Foakes mehr Geld besaß als beinah jeder andere Gentleman in London, seinen Bruder mit eingeschlossen. Er war ihm außerdem nur zu gut bekannt, dass Foakes keinen Titel anstrebte und dazu obendrein auch gar keine Notwendigkeit sah. Seines Wissens nach hatte Patrick Foakes seinem Bruder den Titel niemals geneidet.
Aber Foakes war auch ein brillanter Taktiker, ein Mann, der sich während seiner Reisen durch den Osten schon häufig in brenzligen Situationen wiedergefunden hatte. Wer außer ihm konnte Selims leidenschaftliche Gier nach westlichem Prunk verstehen?
»Sie müssen ihn ja nicht benutzen«, sagte Breksby mit berechnendem Desinteresse. »Sie können den Titel nach Ihrer Rückkehr aus der Türkei sogar wieder zurückgeben. Uns stört das nicht weiter. Wir wollen jedoch auf keinen Fall, dass Sie diese Botschaftermission dadurch gefährden, dass Sie den Titel von vornherein ablehnen.«
Patrick saß völlig entspannt in seinem Sessel und durchdachte die Angelegenheit.
Breksby legte seine Fingerspitzen an die Schläfen und beobachtete die Brüder. Die Foakes-Zwillinge boten ein eindrucksvolles Bild. Beide Männer waren langbeinig und glichen einander wie ein Ei dem anderen. Sie hatten widerspenstiges schwarzes Haar, das von silbernen Strähnen durchzogen war, und Augenbrauen, die sich auf teuflische Weise nach oben wölbten. Wie sie lässig und mit entspannten Muskeln in ihren Sesseln saßen, ähnelten sie gestreiften Katzen, die im Sonnenlicht schlummerten. Hätte Breksby die Fantasie besessen, dieses Bild zu berichtigen, dann wäre es zutreffender gewesen, sie als gefährliche Tiger zu bezeichnen, deren Gelassenheit so malerisch wie vorübergehend war.
Als Patrick die Achseln zuckte und Breksby damit zu verstehen gab, dass er den Antrag für den Titel ruhig stellen mochte, durchströmte den Außenminister ein Gefühl von Selbstzufriedenheit.
»Es wird an die sechs Monate dauern, bis Ihr Titel bestätigt ist. Wenn Sie nächstes Jahr im Spätsommer oder Anfang Herbst aufbrechen wollen«, sagte er im Plauderton, »dann dürften Sie rechtzeitig zur Krönung in Konstantinopel eintreffen. Unsere Kunsthandwerker werden im April das Geschenk des Königs, ein mit Rubinen besetztes Zepter, fertig haben. In dieser Hinsicht erwarte ich keine Komplikationen.«
Ach möchte nicht, dass das an die Öffentlichkeit gelangt«, sagte Patrick kurz angebunden. Aber sie beide wussten, dass die Gesellschaft von London monatelang von nichts anderem reden würde, wenn Patrick erst einmal Herzog von Gisle war.
Breksby ignorierte geschickt diese Bitte. Er stand auf und ging um seinen Schreibtisch herum. Alex und Patrick erhoben sich ebenfalls. An der Tür blieb Breksby stehen, ein feistes Lächeln auf den Lippen.
»Darf ich der Erste sein? Euer Gnaden ...« Er machte eine Verbeugung, und sein absurdes Haar flog nach rechts.
Erst als sie das Gebäude verlassen hatten, platzte Patrick heraus. »Dieser aufgeblasene, kleine Fatzke! Ihm hat die Maskerade auch noch Spaß gemacht. Soll er doch einen der königlichen Prinzen in die Türkei schicken.«
Alex grinste. »Versuch nicht, mir etwas vorzumachen, Patrick. Du kannst es doch gar nicht abwarten, zu der Krönung aufzubrechen. Du würdest dir nie die Gelegenheit entgehen lassen, ins Osmanische Reich zu reisen.«
»Du hast natürlich Recht.« Nun grinste auch Patrick, und das Lächeln machte die strengen Linien seiner Züge weicher. »Ich habe eine Menge über Selim gehört, als ich in Lhasa war.« Patrick hatte vier Jahre damit verbracht, Tibet, Indien und Persien zu bereisen.
»Ach ja? Wie ist er denn so?«
Erneut feixte Patrick. »Selim ist ein rechter kleiner Stutzer. Damals unternahm er gerade eine Reise durch die Hauptstädte Europas. Er trieb seinen Vater in den Wahnsinn, indem er alle möglichen europäischen Bräuche, Kleidung und Frauen nach Konstantinopel brachte.«
»Glaubst du, dass er tatsächlich seine Armee hinter Napoleon stellen könnte?«
»Ich halte das für wahrscheinlich«, erwiderte Patrick und seine Miene wurde ernst.
Sie hatten die wartenden Kutschen erreicht.
»Weißt du was, kleiner Bruder«, zog Alex ihn auf, »Jetzt hast du mich überflügelt.«
Patrick blickte ihn einen Moment lang verwirrt an. Dann begann es in seinen Augen zu funkeln. »Verdammt, du hast Recht! Du bist nur ein Graf und ich ein Herzog!«
Alex lachte. Die beiden Brüder waren sich immer schon darin einig gewesen, dass Alex' Titel nur ein nutzloses Hindernis waren.
Patricks Augen wurden schmal. »Wäre ich letzten Monat schon ein Herzog gewesen, dann hätte sie meinen Antrag akzeptiert«, sagte er mit schneidender Stimme.
Alex wusste genau, von wem die Rede war. Er schüttelte den Kopf »Lady Sophie ist nicht so eine Frau, Patrick.« Sophie York war die engste Freundin seiner Frau; Alex wusste nicht, warum sie den Antrag seines Bruders abgelehnt hatte, aber er bezweifelte, dass ihre Weigerung darin begründet lag, dass Patrick keinen Titel besaß.
»Warum hat sie dann Braddon genommen? Braddon!«, stieß Patrick ungestüm hervor.
»Ich wusste gar nicht, dass du dich so sehr für die Zukunft von Lady Sophie interessierst.« Alex betrachtete das Gesicht seines Bruders eingehend.
Patrick hörte ihm gar nicht zu. »Braddon ist fett, dumm und besitzt ungefähr nur ein Drittel dessen, was ich besitze. Aber er ist ein Graf, Alex. Er ist ein Mitglied unseres ehrenwerten Adels.«
»Du bist unfair«, sagte Alex. »Vielleicht liebt sie ihn ja.«
Patrick schnaubte verächtlich. »Liebe! Es gibt keine einzige Frau in der feinen Gesellschaft, die an so etwas Dummes glaubt!« Dann fügte er hastig hinzu: »Natürlich mit Ausnahme von Charlotte.«
Alex lächelte beim Gedanken an seine Frau. Ach wusste nicht, dass du dich so für Lady Sophie interessierst, Patrick«, wiederholte er.
»Tue ich auch nicht.« Patrick zuckte die Achseln. »Sie kann tun, was ihr beliebt.« Er warf seinem Bruder einen kläglichen Blick zu. »Aber ich bin ein schlechter Verlierer, Alex. Das weiß niemand besser als du. Es wurmt mich, dass ich nur deshalb verloren habe, weil Braddon einen Titel besitzt und ich nicht.«
Alex schwieg einen Moment lang. Er sah keinen Sinn darin, Patrick noch einmal darauf hinzuweisen, dass Sophie York Braddon aus einem anderen Grund vorgezogen hatte. Wer weiß? Vielleicht wollte sie ja doch eine Gräfin werden.
»Gehst du heute Abend zu dem Ball bei den Dewlands?«
»Eigentlich wollte ich nicht hingehen«, erwiderte Patrick. »Aber ich werde heute Abend mit Braddon speisen und er wird im Anschluss zu dem Ball gehen wollen.« Wieder begegnete er Alex' Blick. »Er wird mich wahrscheinlich bitten, sein Trauzeuge zu werden«, sagte er und ein ironischer Zug umspielte seine Lippen.
»Ich werde versuchen, da zu sein«, sagte Alex und legte einen Arm um die Schultern seines Bruders. »Warte nur, bis die kupplerischen Mamas Wind von der Neuigkeit bekommen«, sagte er schadenfroh. »Du wirst eine Sensation sein.«
Patrick schüttelte es bei diesem Gedanken. »Ein weiterer Grund, sofort nach Wales aufzubrechen.«